Rezension: Gruselkabinett - 110 - Der Drachenspiegel

Neongrüne Riesenspinnen jagen Frankensteins Monster durch Draculas Schloß!
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MonsterAsyl
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Rezension: Gruselkabinett - 110 - Der Drachenspiegel

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Gruselkabinett - 110 - Der Drachenspiegel

Zum Inhalt:
Nachdem der "Boxeraufstand" in China niedergeschlagen wurde, kommt es in Peking zu unzähligen Plünderungen. Auch James Hemdon und der Matrose Martin nutzen die Gunst der Stunde und sehen sich in der verbotenen Sadt um. In einem Palast finden sie durch Zufall ein verborgenes Zimmer, auf dessen Wände Bilder einer fremden Welt gemalt sind. Und da ist noch etwas: ein Spiegel wie ihn die beiden noch nie zuvor gesehen haben. Vollkommen fasziniert davon, beschließt Hemdon, das wertvolle Stück mit nach Hause zu nehmen. Er ahnt ja nicht, welch' tödliche Gefahr von diesem ausgeht.

Zur Produktion:
Grundlage des Hörspiels bildet die englische Kurzgeschichte "Through the Dragon Glass" von Abraham Merritt(20.01.1884 – 21.08.1943). Sie erschien ursprünglich 1917 in der Novemberausgabe von "All-Story Weekly" und ist, im Gegensatz zu Titanias erster Merritt-Vertonung "Madame Mandilips Puppen" (Gruselkabinett 95 & 96), allerdings dem Fantasy- und nicht dem Gruselgenre zuzuordnen. So erklärt es sich auch, warum die Erzählung in Deutschland im Rahmen der Reihe "Terra Fantasy" (Band 45) unter dem wörtlich übersetzten Titel "Durch das Drachenglas" veröffentlicht wurde. Da dieser Titel den Inhalt jedoch zum Teil vorwegnimmt, hat sich Skriptautor Marc Gruppe wohl entschlossen, ihn abzuändern und auf das Hauptelement der Geschichte, den Drachenspiegel, zu reduzieren. Doch das bleibt nicht der einzige Unterschied zur literarischen Vorlage. Schon für die Eröffnung stellte Gruppe Merritts nüchtern erzähltes Intro zunächst zurück und begann das Hörspiel stattdessen mit einer weitaus dramatischeren Szene. Um auch das nachfolgende Geschehen möglichst spannend, und vor allem hörspielgerecht, zu gestalten, wandelte er wieder etliche Beschreibungen in Dialoge um, und auch die ursprüngliche Anfangsszene wurde auf diese Weise mit eingearbeitet. Entsprechend der Zeit, zu der Merritt seine Geschichte verfasste, finden sich darin etliche, heutzutage nicht mehr opportune Elemente wieder, die von Marc Gruppe entweder weggelassen oder entschärft wurden. So redet James Hemdon (der in Merritts Geschichte Herndon heißt) respektvoll mit seinem chinesischen Steward Wu-Sing, während er ihn bei Merritt als "yellow fraud" (in etwa "gelber Schwindler") beschimpft. Eine Sache ließ sich jedoch nicht einfach ausmerzen, da sie einen zentralen Bestandteil der Handlung bildet: Wu-Sing radebrecht zunächst mehr recht als schlecht, nur um dann plötzlich lupenreines Deutsch zu sprechen. Woher das kommt und weshalb es für den Verlauf der Geschichte von Bedeutung ist, werde ich natürlich nicht verraten. Im Gegenzug ist es allerdings unserer modernen Zeit zu verdanken, daß Gruppe Dinge beim Namen nennen darf, die Merritt so direkt nicht aussprechen konnte. Während Letzterer sich noch gezwungen sah, eine diffuse Formulierung wie: "The story of his parentage is somewhat scandalous." zu gebrauchen, heißt es in Gruppes Fassung ganz unverhüllt, daß die Eltern zugleich auch Geschwister waren.
Die übrigen Abweichungen gegenüber der Kurzgeschichte sind vernachlässigenswert, denn es spielt schließlich keine größere Rolle, ob man nun Vorhänge zuzieht oder einen Lichtschalter betätigt, um ein Zimmer zu verdunkeln. Da der Skriptautor, abgesehen von mehreren Dialogen, keinerlei eigene Elemente hinzugefügt hat, bleibt er zwar der Vorlage treu, dem Hörer wird so in den knapp 57 Minuten Laufzeit aber nicht eine einzige wirklich gruselige Szene präsentiert. Mir hat dieser zugegebenermaßen genrefremde Stoff trotzdem gefallen, ich könnte mir allerdings vorstellen, daß Gruselfreunde hier inhaltlich eher enttäuscht sein werden. Da auch diese Geschichte im englischsprachigen Raum rechtefrei ist, kann sie der interessierte Leser beim australischen Gutenberg-Projekt, unter http://gutenberg.net.au/ebooks06/0601921h.html, nachlesen.
Wer Hörspiele von Titania kennt, der weiß, wie üppig Stephan Bosenius und Marc Gruppe ihre Produktionen ausstatten. Umso mehr überrascht daher der akustischen Aufbau dieses Hörspiels. Meist steigen die beiden Macher ja direkt voll ein und bieten dem Hörer, besonders im Hinblick auf die Geräuschkulisse, ein geradezu opulentes Fest für die Ohren. Hier werden die Töne zunächst fast schon auf ein Minimum reduziert (Kaminprasseln oder Schritte), und stattdessen dient die Musik als stilistisches Mittel zur Schaffung der entsprechenden Atmosphäre.
Sobald James die Spiegelwelt betritt, ist es, als würde ein Schleier weggezogen, denn erst ab jetzt baut sich eine ganze Welt aus Geräuschen um den Hörer herum auf. Vögel zwitschern melodisch, ein Bach zieht murmelnd vorbei, der Wind streicht durch Büsche und Gräser. Dieser starke Kontrast intensiviert die emotionale Wirkung der "Märchenwelt" um ein Vielfaches, und zusammen mit den asiatisch klingenden Melodien, die mich ein wenig an Kitaro erinnert haben, entsteht so ein wirklich beeindruckendes Klangbild.
Selbstverständlich gibt es auch wieder diverse geschickt eingearbeitete Effekte. So hat man beispielsweise die Stimmen in der Höhle mit Hall versehen, und um den "Einfluß" des uralten Rak auf eine Figur zu verdeutlichen, wurden die Tonspuren beider Sprecher übereinander gelegt.

Zu den Sprechern:
Claus Thull-Emden(Ward) ist nicht nur einer der Hauptcharaktere, sondern übernimmt auch den Part des Erzählers. Beides macht er sehr gut, wobei er mich aber in seiner Figuren-Rolle etwas mehr überzeugen konnte. Thull-Emden, der hier stellvertretend für den Hörer agiert, gelingt es, jede Emotion, von Überraschung über Verrwirtheit, bis hin zur Verblüffung, glaubhaft und vollkommen natürlich klingen zu lassen. Dieses gefühlvolle Spiel fehlt mir ein bisschen in seinen Erzähler-Passagen. "Gaststar" Peter Lontzek(James Hemdon) dürfte den meisten Hörern, neben seiner Arbeit als Theaterschauspieler, vor allem durch diverse Synchronarbeiten für Film und Fernsehen bekannt sein. Seine etwas raue Stimme ist genau richtig für den ehemaligen Plünderer, der sich seine ganz eigene "Büchse der Pandora" ins Haus geholt hat und nun hin und her gerissen ist zwischen Grauen und Faszination. Louis Friedemann Thiele(Martin) überzeugt in seiner Verkörperung des treuen Dieners, der sich zu Recht große Sorgen um seinen Herrn macht, und Benedikt Weber(Wu-Sing) ist einfach toll als der etwas einfältige Schiffssteward, welcher Hemdon beschwört, den Spiegel sofort wieder loszuwerden. Die weiche Stimme von Stephanie Kellner(Santhu) passt perfekt für die Verkörperung der zärtlichen Asiatin, der das Wohl ihres Liebsten über alles geht. Zusammen mit Jürgen Thormann(Rak), der seinen Part als uraltes Geschöpf sehr hart spricht, bilden die beiden ein akustisches Ying und Yang.

Fazit:
Interessante Fantasygeschichte, in der Gruselelemente aber bestenfalls rudimentär vorhanden sind.
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Keeper of the Monsters

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