Rezension: Gruselkabinett - 142 - Das Zeichen der Bestie

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MonsterAsyl
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Rezension: Gruselkabinett - 142 - Das Zeichen der Bestie

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Gruselkabinett - 142 - Das Zeichen der Bestie

Zum Inhalt:
An Silvester des Jahres 1889 überrascht der Polizeibeamte Strickland seinen Freund, den Autor Rudyard Kipling, mit der Mitteilung, daß sie diesmal den Abend zu dritt verbringen werden, da er auch seinen jungen Freund Fleete eingeladen hat. Also bricht man gemeinsam auf, und im Lauf des Abends betrinkt sich Letzterer hemmungslos. Als sie auf dem Heimweg einen Tempel des hinduistischen Affengottes Hanuman passieren, beschliesst Fleete sich dort zu erleichtern. Vergebens versuchen Kipling und Strickland, ihn aufzuhalten, und so nimmt das Unheil seinen Lauf...

Zur Produktion:
Die erste und bis zu diesem Hörspiel einzige Geschichte, welche das Label Titania-Medien von dem britischen Schriftsteller, Journalisten und Poeten Rudyard Kipling (30.12.1865 - 18.01.1936) vertont hatte, war "Die Gespenster Rikscha" (Gruselkabinett 31). Umso mehr habe ich mich gefreut, daß es mit dieser Folge nun eine weitere gibt.
Kipling erlangte durch seinen Roman "Das Dschungelbuch" Weltruhm, doch auch "Kim" oder "Der Mann der König sein wollte" machten ihn zu einem der beliebtesten Schriftstellern seiner Zeit. 1907 erhielt er, als erster britischer und bis heute jüngster Schriftsteller, den Literaturnobelpreis.
Kipling blieb allerdings nicht immer unumstritten, und rund zwanzig Jahre nach seinem Tod wurden vermehrt kritische Äusserungen zu seinen Büchern laut.
So nannte ihn beispielsweise George Orwell einen "agressiven, moralisch unsensiblen und ästhetisch abstoßenden Imperialisten."
Doch auch diese nicht ganz unberechtigte Einschätzung Orwells konnte die Begeisterung des Publikums für Kiplings mitreißende Abenteuergeschichten bis heute nicht bremsen.
Weniger bekannt hingegen sind seine Gruselstories. "Mark of the Beast", so der Originaltitel der hier zugrundeliegenden Geschichte, erschien am 12. und 14.07.1890 im Magazin "Pioneer" und wurde im selben Jahr noch einmal im renommierten "New York Journal" publiziert.
Wie schon in seinen populäreren Büchern, ist auch hier Indien Ort der Handlung. Dies liegt zum einen daran, daß sich Kipling in dem Land bestens auskannte, da er den größten Teil seines Lebens dort verbrachte, zum anderen konnte er sich auf das Interesse seines englischen Publikums an den doch sehr fremden, für westliche Augen manchmal geradezu bizarr anmutenden Gottheiten verlassen.
Heraus kam eine gruselige Kurzgeschichte, die Skriptautor Marc Gruppe souverän für das Medium Hörspiel adaptiert hat.
Das beginnt schon mit der Idee, dem Erzähler, welcher bei Kipling namenlos bleibt, den Namen des Schriftstellers zu geben und ihn auf diese Weise als am Ablauf beteiligte Figur zu integrieren. Ein kleiner Kunstgriff, der dem Geschehen einen Hauch von "Realität" verleiht.
Daß Gruppes Version, trotz inhaltlicher Übereinstimmung mit dem Original, wesentlich dynamischer daherkommt, verdankt sie vor allem der Tatsache, daß sich hier quasi eine Spielszene an die andere reiht, was den ursprünglichen "Erzählertext" auf ein absolutes Minimum reduziert. Stattdessen werden diese Informationen in Form von kürzeren Dialogen bzw. rein durch die Soundkulisse vermittelt.
Trotz der engen Anbindung an die Vorlage, gibt es ein paar Änderungen auf die ich kurz eingehen möchte. So entschärft der Skriptautor beispielsweise ein wenig die Szene mit dem Igel, der als Billardkugel missbraucht wird, in dem er Kipling explizit sagen lässt, daß diesem nichts passiert sei.
Kipling selbst verschwendet keinen weiteren Satz auf dessen Schicksal, ein Faktum, das man heutzutage, allein aus Tierschutzgründen, so nicht mehr unbedingt stehenlassen kann. Ebenfalls neu ist Gruppes Begründung, warum Fleete überhaupt in den Tempel will (der Gang zur Toilette), während er bei Kipling vollkommen unmotiviert hineinstürmt. Das macht den Ablauf sehr viel nachvollziehbarer.
Weitere zum Teil wesentliche Änderungen, betreffen vor allem den Aussätzigen. So wird er bei Kipling, ohne jegliche Skrupel der Akteure, die ganze Nacht über gefoltert, während er bei Gruppe bereits aufgrund der reinen Folter-Androhung den Befehlen Stricklands gehorcht.
Im Gegenzug ist Marc Gruppes Schilderung der Art und Weise, wie der Leprakranke Fleete infiziert, sehr viel drastischer und beeindruckender, als dies im Original der Fall ist, wo der Kranke Fleete lediglich kurz die Hand auflegt. Ebenfalls begrüßenswert finde ich, daß das bei Kipling nur kurz angerissene Zitat "Es gibt mehr Dinge.." hier komplett, unter Nennung des Autors William Shakespeare, wiedergegeben wird.
Dementsprechend passend ist auch die Abänderung des Endes. Statt es mit Kiplings ernüchternden, christlich-dogmatisch anmutenden Worten: "Es ist jedem Vernunftbegabten bekannt, daß die Götter der Heiden nur Stein und Messing sind und jeder Versuch, anders damit umzugehen, verdient Verdammnis." ausklingen zu lassen, ersetzt Gruppe diesen Text und beendet seine Version mit: "Es wird mysteriös bleiben, wie so vieles, was ich in Indien erlebt habe."
Dieser neue Satz entspricht einerseits mehr dem geheimnisvollen Grundton der Geschichte, andererseits fällt die Formulierung wesentlich sensibler aus, da die ursprünglich enthaltene westliche bzw. christliche Arroganz unterbleibt.
Interessierte Leser finden die komplette Kurzgeschichte im englischen Original im Internet unter https://en.wikisource.org/wiki/The_Mark_of_the_Beast.
Eines der vielen Attribute, die man sofort mit Titania-Medien in Verbindung bringt, ist sicherlich "atmosphärisch". Nur wenigen gelingt es, die jeweilige Szenerie so lebendig zu gestalten, wie den beiden Produzenten und Regisseuren Stephan Bosenius und Marc Gruppe. Die tropische Nacht ist erfüllt mit surrenden und zirpenden Insekten sowie dem Gezwitscher bzw. Rufen exotischer Vögel. Die Gaststätte wird durch das Gelächter und Stimmengewirr der vielen Menschen so realistisch dargestellt, daß man als Hörer glaubt, mit Kipling und Strickland an einem Tisch zu sitzen. Besonders wirkungsvoll finde ich den direkt nach der Schändung Hanumans dezent eingespielten, nur kurz hörbaren Herzschlag. Ein kleiner, aber feiner Effekt, mit dem Bosenius und Gruppe dem Hörer unauffällig mitteilen, daß Leben in das steinerne Abbild gekommen ist.
Wenn man bereits so viele Hörspiele produziert hat, wäre es natürlich ein Leichtes, immer wieder auf dieselben Musikstücke zurückzugreifen, doch so einfach machen es sich die beiden nicht. Wie gewohnt sind sowohl die Instrumente als auch die Musik selbst auf die Handlung abgestimmt worden. Entsprechend der Szenerie erklingen hier Sytar, Trommeln, Flöten und indische Tröten, die zusammen für einen Sound sorgen, wie man ihn allgemein mit diesem Land verbindet. Daneben sind aber auch "heimische" Instrumente, wie der Synthesizer oder Geigen zu hören. Letztere werden faszinierenderweise zweimal in völlig unterschiedlichen Stücken und Situationen eingesetzt und zeigen eindrucksvoll, wie man zwei konträre Stimmungen (An- und Entspannung) mit nur einem Instrument erzeugen kann.
Musikalisches Highlight ist aber sicherlich das Abschlussstück, welches auch wegen des Gesangs Assoziationen zu indischen Tempelzeremonien weckt.

Zu den Sprechern:
In seiner Eigenschaft als Erzähler spricht Thomas Balou Martin(Kipling) seinen Text mit getragener, rauer Stimme, die er leicht hebt, wenn er als Figur agiert. Auf diese Weise gelingt es ihm, tatsächlich ein wenig wie sein jüngeres "Ich" zu klingen. In beiden Aspekten gibt es an seinem Spiel nichts auszusetzen, und mit seiner ruhigen, besonnen Art, bildet er quasi den Gegenpol zu den anderen Akteuren.
Rolf Berg(Strickland) ist gut als alter Freund Kiplings, den die Ereignisse rund um Fleete dermaßen aus der Bahn werfen, daß er selbst vor Gewaltanwendung nicht zurückschreckt.
Das sprecherische Highlight bildet für mich aber diesmal ganz klar Claus Thull-Emden(Fleete) in seiner Rolle des respektlosen jungen Mannes, dessen Fehlverhalten ungeahnte Konsequenzen hat. Thull-Emden liefert das beeindruckende Portrait eines Menschen, dessen animalische Instinkte immer mehr nach außen dringen, und sein Knurren und Schnüffeln klingen so echt, daß man meinen könnte, ein Tier zu hören.
Vollsten Respekt hat auch die sprecherische Leistung von Peter Weis(Aussätziger) verdient, da sich sein Part als gesichtsloser, stöhender, sabbernder Leprakranker, der sich unter anderem durch Maunzen verständigt, extrem schwierig gestaltet und nur mit großer Selbstdisziplin darzustellen ist.
Für ein wenig Humor sorgen die Auftritte von Sascha von Zambelly(Dr. Dumoise) als mit der Situation und dem Krankheitsbild des Patienten völlig überforderter Landdoktor, der am Schluß die Welt nicht mehr versteht.
In der Nebenrolle des erzürnten Tempelvorstehers bekommt man außerdem noch Horst Naumann(Priester) zu hören.

Fazit:
Über 43 Minuten spannende und schauerliche Gruselkost.

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