Rezension: Gruselkabinett - 146 - Der rote Raum

Neongrüne Riesenspinnen jagen Frankensteins Monster durch Draculas Schloß!
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MonsterAsyl
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Rezension: Gruselkabinett - 146 - Der rote Raum

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Gruselkabinett - 146 - Der rote Raum

Zum Inhalt:
Trotz aller Warnungen und dem Schicksal seiner Vorgänger, welche entweder starben oder wahnsinnig wurden, ist Simon Price fest entschlossen, eine Nacht im ominösen "Roten Zimmer" des Schlosses Lorraine zu verbringen. Um seine Erfahrungen zu dokumentieren, bringt er einen Phonographen mit, und eine lange Nacht nimmt ihren Lauf...

Zur Produktion:
Nachdem Titania-Medien bereits im letzten Jahr die wohl bekanntesten Werke von H.G.Wells (21.09.1866 - 13.08.1946) für das Medium Hörspiel adaptierte (GK 120 - 125 & 136), hat man sich für diese sechste Vertonung einer weniger bekannten Kurzgeschichte ("The red Room") angenommen, welche der Schriftsteller 1894 geschrieben und im März 1896 erstmals im "The Idler"-Magazin veröffentlicht hat. Bis zur Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933, waren Wells' Romane auch in Deutschland sehr beliebt. Das änderte sich jedoch, als der Autor Kritik an der dortigen politischen Situation äußerte.
Am 10.05.1933 wurden seine Bücher, zusammen mit denen anderer unliebsamer Schriftsteller, auf dem Berliner Opernplatz öffentlich verbrannt.
Wie lange es dann dauerte, bis "Der rote Raum" wieder in deutscher Sprache vorlag, kann ich nicht abschließend sagen, doch die älteste mir bekannte Übersetzung erschien erst am 08.01.1974 in der Taschenbuchreihe "Vampir Horror-Stories", Band Nummer 4: "Exklusive Alpträume".
H.G. Wells war und ist ja, ähnlich wie sein berühmter Kollege Jules Verne, vor allem für die wissenschaftliche Untermauerung seiner Geschichten bekannt. Umso mehr verwundert es zunächst, daß er hier eine reine "Geistergeschichte" verfasst haben soll. Zwar handelt es sich tatsächlich um eine solche, aber wie der englische Alternativtitel "The Ghost of Fear" bereits verrät, ist Wells' Erklärung, daß es hier um die Manifestationen menschlicher Furcht geht, mehr als nüchtern und relativiert den vorangegangenen Grusel doch ganz erheblich.
Das hat Skriptautor Marc Gruppe wohl auch so gesehen, und obwohl ich seine werkgetreue Art generell schätze, bin ich froh, daß er dieses Mal insofern ein wenig von der ursprünglichen Version abweicht, als daß sein Ende anders als bei Wells ausfällt.
Wer die Geschichte kennt, im englischen Original nachzulesen unter https://en.wikisource.org/wiki/The_Red_Room, der weiß, daß Erzähler und Hauptdarsteller Simon Price den größten Teil der Handlung allein verbringt. Will man jetzt, so wie Marc Gruppe, dicht am ursprünglichen Text bleiben, gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder der Sprecher führt ständig Selbstgespräche (so ist es bei Wells), oder man lässt sich hier etwas Neues einfallen.
Gruppe hat sich für Letzteres entschieden und kam auf die Idee, den damals gerade populär gewordenen Phonographen einzufügen. Dieser Einfall ist geradezu genial, da er zum einen Wells' wissenschaftsorientiertem Denken entgegenkommt (Price will seine Beobachtungen für die Nachwelt / die Wissenschaft aufzeichnen) und zum anderen die Möglichkeit bietet, das Hörspiel mit einer ursprünglich nicht vorhandenen Gruselnote zu versehen.
Doch das ist nicht die einzige Änderung gegenüber der schriftlichen Vorlage. So ist beispielsweise die zeitliche Einordnung in das Jahr 1899 dem Umstand geschuldet, daß der Phonograph erst in dieser Zeit Verbreitung fand. Daß der Skriptautor den Tod des jungen Duke 18 Monate vor die aktuellen Ereignisse legt, bleibt für den Verlauf genauso unerheblich wie die Tatsache, daß er, im Gegensatz zu Wells, sämtliche Protagonisten mit Namen versehen hat.
Neu hinzugefügt wurde auch das Eingangsgespräch zwischen Simon Price und der Herzogin, welches Gruppe geschickt nutzt, um die Geschichte des "Roten Raums", welche bei Wells sehr viel später und nur am Rande vorkommt, zu erzählen. Auf diese Weise fällt zum einen der Einstieg längst nicht so abrupt aus wie im ursprünglichen Werk, und zum anderen bietet diese Variante die Möglichkeit, den Hörer entsprechend einzustimmen bzw. für den ersten Grusel in der rund 44 minütigen Spielzeit zu sorgen.
Um eine Geistergeschichte akustisch überzeugend darzustellen, bedarf es einer sorgfältigen Inszenierung, die es schafft, eine entsprechende Stimmung beim Hörer zu erzeugen. Die Produzenten und Regisseure Stephan Bosenius und Marc Gruppe waren sich dessen bewusst und sind entsprechend mit der von ihnen gewohnten Sorgfalt an die Arbeit gegangen. Die beiden eröffnen das Geschehen mit sphärisch anmutenden Synthesizerklängen, die sie mit Geigenmusik unterlegt haben. Diese Kombination setzen sie im Laufe der Handlung immer wieder mal ein, allerdings klingt sie jeweils etwas anders, da die ursprünglich harmonischen künstlichen Klänge eine dunkle, geradezu düstere Färbung annehmen. Darüber hinaus lassen Bosenius und Gruppe die eingespielte Musik in Lautstärke und Vehemenz an- und abschwellen und sorgen damit für eine Vertiefung der bereits zuvor etablierten bedrohlichen Stimmung.
Genauso gekonnt wie der Einsatz der Musik, fällt auch der Gebrauch der Geräusche aus. Das Gespräch zwischen Price und der Herzogin wird unter anderem mit einem gemütlich prasselnden Kaminfeuer sowie dem Geklapper von Geschirr unterlegt, aber Highlight ist eindeutig Prices Gang zu dem titelgebenden Zimmer.
Der Wind pfeift geradezu heulend durch das alte Gemäuer, und im akustischen "Hintergrund" zieht donnergrollend ein schweres Gewitter auf.
Die Akribie, mit der die einzelnen Sequenzen in Szene gesetzt werden, lässt sich vermutlich am besten mit den unterschiedlichen Schrittgeräuschen innerhalb des Schlosses verdeutlichen. Je nach Untergrund, klingen diese mal stumpf (bei den Steinstufen), mal metallisch (bei der Wendeltreppe). Von den Effekten hat mir, neben dem leichten Hall, mit dem das Gepräch zwischen Price und der Herzogin ausklingt und in die Handlung der nächsten Szene übergeht, besonders der langanhaltende, dabei tontechnisch leicht aufgezogene Schrei gegen Ende des Hörspiels gefallen.

Zu den Sprechern:
Hauptdarsteller und Erzähler Valentin Stroh(Simon Price), der neben seiner Tätigkeit als Sprecher auch noch als Schauspieler und Regisseur tätig ist, kann man nur als Idealbesetzung bezeichnen. Er liefert eine großartige Darstellung des Mannes mittleren Alters ab, der sich neugierig und geradezu sorglos in eine Unternehmung begibt, welche ihm mehr abverlangen wird, als er zunächst ahnt. Es ist beeindruckend, ihm dabei zuzuhören, wie seine anfangs selbstsichere Stimme im Laufe der Geschehnisse immer nervöser klingt und sich sein Unwohlsein in nackte Angst verwandelt. Besonders intensiv finde ich den Moment, als es ihm scheinbar kurz gelingt, sich wieder zu fassen, bevor er dann erneut derart erschrickt, daß ihn die Panik vollends übermannt. Ursula Sieg(Herzogin) ist großartig als ältere Dame, die sich über Prices Ansinnen mehr als nur wundert und ihm eindringlich von seinem Vorhaben abrät. Auch wenn sie nur Nebenrollen besetzten, so sind auch die sprecherischen Leistungen von Dagmar von Kurmin(Haushälterin) und Horst Naumann(Verwalter), die beide jegliche Verantwortung für Prices Schicksal ablehnen und ihn ebenfalls mehrfach warnen, immer überzeugend. Besonderen Spaß macht aber Bert Stevens(Alter Ed) als keuchender, hustender und vor allem unfreundlicher Mann, der ebenso verängstigt ist, wie der Rest der betagten Angestellten.

Fazit:
Überdurchschnittliche Hörspieladaption einer beinahe klassischen Gruselgeschichte eines "Vaters" der Science Fiction-Literatur.

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