Rezension: Gruselkabinett - 165 - Das alte Kindermädchen erzählt

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MonsterAsyl
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Rezension: Gruselkabinett - 165 - Das alte Kindermädchen erzählt

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Gruselkabinett - 165 - Das alte Kindermädchen erzählt

Zum Inhalt:
Da die junge Pfarrersfrau Mrs. Esthwaite in absehbarer Zeit ein Kindermädchen brauchen wird, stattet sie der Schule in ihrem Heimatort einen Besuch ab, um dort nach einer geeigneten Kandidatin zu suchen. Für die Lehrerin Miss Jenkins gibt es nur eine Schülerin, die dafür in Frage konmmt: die 14 jährige Hester. Diese freut sich riesig über das Stellenangebot und sagt begeistert zu. Einige Jahre läuft auch alles gut, und Hester kümmert sich aufopferungsvoll um die kleine Rosamond. Doch das Glück wärt nicht lange, erst verstirbt der Pfarrer und kurz darauf auch seine Ehefrau. Auf ihrem Totenbett nimmt Mrs. Esthwaite Hester das Versprechen ab, sich auch weiterhin um das Kind zu kümmern. So kommt es, daß die beiden von dem nächsten Angehörigen, Lord Furnivall, zu dessen alter Tante ins Manor House geschickt werden. Miss Furnivall wohnt mit ihrer Gesellschafterin Miss Stark und drei Bediensteten in dem abgelegenen Anwesen. Die betagte Dame verhält sich zunächst äußerst ablehnend, während das Personal sie mit offenen Armen empfängt. Nach und nach leben sich die beiden ein, doch als Hester eines Abends die längst verfallene Orgel spielen hört, ist das nur der Auftakt einer Reihe von unheimlichen, bedrohlichen Ereignissen...

Zur Produktion:
Während die britische Autorin Elizabeth Cleghorn Gaskell (geborene Stevenson; 29.09.1810 – 12.11.1865) in ihrem Heimatland jedem halbwegs gebildeten Briten ein Begriff ist, kennt man sie in Deutschland vor allem aufgrund der BBC-Verfilmungen ihrer bekanntesten Romane "Cranford" oder "Wives and Daughters". Da die Schriftstellerin mit ihrem Werk ein detailiertes Portrait der viktorianischen Gesellschaft, bis hinunter zu den allerärmsten Schichten liefert, ist ihr geringer Bekanntheitsgrad hierzulande umso bedauernswerter. Gaskell war das jüngste von 8 Kindern, doch nur sie und ihr Bruder John überlebten die Kindheit. Interessanterweise weist ihre Biographie diverse Parallelen zu der hier zugrundeliegenden Geschichte "The old Nurse's Story" auf, welche erstmals 1852 in der Weihnachtsausgabe des von Charles Dickens herausgegebenen Magazins "Household Words" veröffentlicht wurde. Gaskells Vater war Pfarrer, ihre Mutter starb 13 Monate nach Elizabeths Geburt und auch sie wurde nach deren Tod zu einer Familienangehörigen, der Schwester des Vaters, geschickt. Ihre Karriere als Schriftstellerin begann 1835 mit einem Tagebuch, das die Entwicklung ihrer Tochter Marianne dokumentierte. 1836 schrieb sie zusammen mit ihrem Mann Gedichte, die ein Jahr später in der Januarausgabe des "Blackwood's Magazine" erschienen. Ab 1840 folgten nur noch Werke aus ihrer Feder, und es war vor allem die deutsche Literatur, die einen starken Einfluß auf ihre Kurzgeschichten ausüben sollte. Der Tod ihres Sohnes William (1844-1845) war der Auslöser für ihren ersten Roman "Mary Barton", der die Slums von Manchester zum Thema hatte. Im Laufe ihres Lebens verfasste Gaskell Romane, Novellen, Kurzgeschichten, Gedichte und Sachbücher, darunter die von ihr geschönte Biographie "The Life of Charlotte Brontë". Was sie jedoch für die Reihe "Gruselkabinett" prädestiniert, sind ihre, im Stil der britischen "Gothic Fiction" gehaltenen, schaurigen Geistergeschichten, zu denen auch die Vorlage von "Das alte Kindermädchen erzählt" gehört. Diese Kurzgeschichte ist zweimal ins Deutsche übersetzt worden. Die erste Übersetzung gab es 1975 in der Anthologie "13 Geister-Stories", die im Heyne Verlag erschienen ist, allerdings unter dem Titel "Die Geschichte der alten Kinderfrau". Die zweite Übersetzung folgte erst 2012 unter dem Titel "Die Geschichte des alten Kindermädchens" und als Band 29 innerhalb der Reihe "Kabinett der Phantastik". Zwar besitze ich etliche Bücher mit phantastischer Literatur, aber diese beiden sind leider nicht dabei. Von daher kann ich auch nicht sagen, ob sich Skriptautor Marc Gruppe daran oder an der englischsprachigen Originalfassung orientiert hat. Da letztere aber im Public Domain und somit frei zugänglich im Internet unter https://en.wikisource.org/wiki/The_Old_Nurse%27s_Story zu finden ist, diente sie mir zum Vergleich.
Das Erste, was auffällt, sind die von Gruppe, trotz der großzügig bemessenen Laufzeit von knapp 79 Minuten, vorgenommenen Kürzungen. So fehlt beispielsweise das Gerücht, daß sich Lord Furnivall ebenfalls für Mrs. Esthwaite interessierte, und auch die Beschreibungen des Inneren und Äußeren von Manor House sind stark zusammengestrichen worden. Für die Handlung spielt dies aber keine Rolle. Es ist eher so, daß der Ablauf auf diese Weise flüssiger bzw. für den Hörer ansprechender ausfällt als bei Gaskell. Weitere kleine Veränderungen betreffen beispielsweise das Bild von Miss Maude, das hier nicht nur mit dem Motiv zur Wand gedreht wurde, sondern darüber hinaus noch zusätzlich hinter einem Schrank stehen muss, das gemeinsame Spiel von Hester und Rosamond, welches im Original auf einem Billiardtisch und hier an einem Würfeltisch stattfindet, oder das Glöckchen, das bei der Schriftstellerin 3x und hier nur 1x klingelt. Während all diese Abänderungen nicht wirklich ins Gewicht fallen, sind es zwei andere Punkte, die Gruppe so stark verändert hat, daß sie im Vergleich "harmloser" daherkommen als im Original. Während Mrs Esthwaite hier einfach "nur" stirbt, erleidet sie bei Gaskell zusätzlich erst eine Totgeburt und der kleine Leichnam wird ihr auf dem Sterbebett in die Arme gelegt. Ebenfalls stark vereinfacht ist das Schicksal von Maude, die in der Originalgeschichte auf Grund der Umstände auch noch wahnsinnig wird. Gerade diese Szene, richtig gespielt, hätte zusätzlichen Grusel in die Handlung gebracht, und es ist mir unverständlich, warum Gruppe die Gelegenheit nicht genutzt hat. Selbiges gilt für die, wenn auch kurze, postiv gehaltene Fortführung der Handlung über die schriftliche Vorlage hinaus. Meiner Meinung nach konterkariert der vom Hörspielautor angefügte versöhnliche Schluß die vorher aufgebaute Gruselstimmung zu stark.
Es gehört zu den wesentlichen Merkmalen der Hörspiele von Titania Medien, daß die Produzenten und Regisseure Stephan Bosenius und Marc Gruppe immer größte Sorgfalt bei der Auswahl der zu hörenden Instrumente bzw. der Musikstücke an den Tag legen. Um die Handlung passend zu untermalen, werden hier unter anderem Synthesizer, Geige, Spinett, Trompeten, Klavier und natürlich auch eine Orgel eingesetzt. Die düsteren, langezogenen sowie die extrem tiefen und bassbetonten Sounds werden allesamt elektronisch erzeugt und sorgen für ein permanentes Gefühl der Bedrohung, während die verschiedenen Melodien unter Verwendung der vorgenannten Musikinstrumente intoniert werden. Die musikalische Begleitung der einzelnen Szenen alterniert zwischen fröhlichen und leicht anmutenden Weisen, welche sich schon mal ausgelassen steigern, und geradezu atonal klingenden Kakophonien und treibenden Trompetenstaccati. Amüsant finde ich den dezent eingespielten Choral, der immer dann ertönt, wenn es eine Szene mit der Pfarrersfrau gibt, während die nachdenklich stimmende Klaviermelodie am Ende der Geschichte dem Hörer genügend Zeit einräumt, die Geschehnisse noch einmal zu reflektieren. Die zahlreichen Lokalitäten bieten ausreichend Gelegenheit, unterschiedlichste Geräusche einzuspielen. Dabei legen Bosenius und Gruppe viel Wert auf Authentizität. So hat jede Tür ihren eigenen Klang beim Öffnen und Schließen, der Wind hört sich innerhalb von Manor House anders an als draußen, und selbstverständlich klingen Schritte auf einer Treppe anders, als innerhalb der großen Halle. Allen Tönen ist eine vollkommene Natürlichkeit zu eigen, wobei mich wieder einmal die "kleinen" und unauffälligen Geräusche, wie das Klappern des Geschirrs während des Abwaschs und die klackernden Würfel im Knobelbecher, besonders beeindruckt haben. Wer einmal wissen will, wie unterschiedlich man "Halleffekte" einsetzen kann, ist bei diesem Hörspiel genau richtig. Da gibt es zum einen die Unterlegung von Stimmen mit Hall, um die Größe eines Raumes akustisch zu verdeutlichen, oder die Einsetzung eines "Nachhalls", um die "Stimmen aus der Vergangenheit" darzustellen. Am wichtigsten für ein Gruselhörspiel ist aber sicherlich der extrem "weite" bzw. "aufgezogene" Hall, der übernatürliche Erscheinungen begleitet.

Zu den Sprechern:
Die bekannte Schauspielerin Herma Koehn(Alte Hester) ist mir aus dem Film "Nordsee ist Mordsee" (als Uwes Mutter) noch in guter Erinnerung. Sie bildet die perfekte Besetzung für den Part der Erzählerin. Koehn betont punktgenau und sie spricht ihren Text ganz so, als ob sie die Ereignisse der Vergangenheit noch einmal durchleben würde. Julia DeLuise(Junge Hester) ist klasse in der Rolle des liebenswerten 14jährigen Mädchens mit der großen Verantwortung. Egal welches Gefühl es darzustellen gilt, ob Trauer, Erschrecken oder Erleichterung, ihr Spiel ist stets tadellos. Ebenso gut gefällt mir Claudia Urbschat-Mingues(Miss Jenkins) als Hesters strenge Lehrerin, deren etwas schroffe Art mich in bester Weise an das berühmte "Fräulein Rottenmeier" erinnert. Sigrid Burkholder(Mrs. Esthwaite) liefert das ergreifende Portrait einer jungen, freundlichen Frau, deren Leben ein vorzeitiges Ende findet. Aber am beeindruckensten finde ich die Darbietung der erst fünfjährigen Marlene Bosenius(Rosamond). Ihre Rolle scheint wie für sie gemacht zu sein, denn sie intoniert das aufgeweckte, fröhliche Mädchen mit dem großen Herzen mit einer Präzision, die man eigentlich erst von viel älteren Sprecher/innen erwarten kann. Der Auftritt von Jürgen Thormann(Lord Furnivall) als vornehmer, sachlich agierender Aristokrat, ist kurz aber prägnant. Das gilt auch für die von Lutz Reichert(Mr. Henry) gespielte Figur des freundlichen Sekretärs, der Hester schonen möchte und deshalb zögert, ihr die Wahrheit zu sagen. Die raue, ein wenig heiser klingende Stimme von Horst Naumann(James) passt perfekt auf die Rolle des akkuraten, meistens gut aufgelegten Hausdieners, der im verbalen Austausch mit seiner Frau Dorothy, der Köchin, keine Chance hat. Selbige wird von Monika John(Dorothy) kongenial gesprochen, und es liegt vor allem an ihrem warmherzigen, humorvollen Auftreten, daß die liebevolle Kabbelei zwischen den Eheleuten auch dem Hörer Spaß macht. Wenn es eine Stimme gibt, die ich immer sofort erkenne, so ist das die der einzigartigen, von mir überaus geschätzten Reinhilt Schneider(Agnes), die hier das junge, von der schweren Arbeit mitgenommene und von den Geschehnissen in Manor House verängstigte Dienstmädchen gibt. Absolut professionell agiert auch Elga Schütz(Miss Furnivall) als alte, herrische Frau, die zunächst nichts mit den Neuankömmlingen zu tun haben will. Schütz, deren Figur beinahe taub ist, achtet immer darauf, ihren Text entsprechend laut vorzutragen, ganz so wie es Menschen mit einer Beeinträchtigung des Gehörs eben tun. Auf Augenhöhe mit ihr agiert Ingeborg Kallweit(Miss Stark) in dem Part der Gesellschafterin, die ruppig und genervt wirkt, wenn sich ihre "Herrin" nicht so verhält, wie sie es gern hätte. In weiteren Nebenrollen hört man Dietmar Wunder(Schäfer) als aufmerksamer Schafhirte, Fabienne Hesse(Miss Grace) als junge, stolze und eingebildete Miss Furnivall, Daniela Hoffmann(Miss Maude) als ihre ältere Schwester, die ihr in Bezug auf die negativen Eigenschaften in nichts nachsteht, was aber ihr schweres Los dennoch nicht rechtfertigt, und Ella Refle(Maudes Tochter) als kleines Mädchen, dessen flehentliche Rufe dem Hörer durch Mark und Bein gehen. Außerdem treten noch Bert Stevens(Alter Lord) in der Rolle des hartherzigen, unnachgiebigen, geradezu sadistischen Adligen und Marc Gruppe(Diener) als über die Anweisungen seines Herrn verwunderter, entsetzter Domestik auf.

Fazit:
Solide Geistergeschichte, die allerdings etwas braucht, bevor sie Fahrt aufnimmt.

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