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Rezension: Sherlock Holmes - 67 - Watsons erster Fall

Verfasst: Do 09.10.2025, 13:42
von MonsterAsyl
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Sherlock Holmes - 67 - Watsons erster Fall

Zum Inhalt:
Doktor Hanshaw hat seinen guten Freund Dr. Watson gebeten, für ihn die Praxisvertretung zu übernehmen, während er selbst einen 14tägigen Angelurlaub in Norwegen verbringt. Da sich neben der Ehefrau des Doktors auch dessen Schwester Mabel, deren sechsjähriger Sohn Nick und Lucy, die Nichte der Schwester, in der zur Praxis gehörenden Wohnung befinden, ist für Dr. Watsons Unterhaltung und Wohlergehen bestens gesorgt. Eines Tages beschließt Lucy, in Begleitung des kleinen Nick im Wald zu malen. Als sie erst viele Stunden später allein und mit blutbeflecktem Kleid zurückkehrt, ist klar, daß etwas passiert sein muss. Ganz im Sinne von Sherlock Holmes beginnt Dr. Watson zu ermitteln und begibt sich auf Spurensuche, um den Jungen wiederzufinden...

Zur Produktion:
Nachdem die letzten drei Folgen dieser Reihe auf einer alten deutschen Heftromanserie basierten, führt Titania Medien hier einen für die Serie bisher neuen Autor ein. Richard Austin Freeman (11.04.1862 - 28.09.1943) war ein britischer Schriftsteller, der Kriminalromane und Kurzgeschichten verfasste. 1880 machte er zunächst eine Ausbildung zum Apotheker, anschließend begann er ein Medizinstudium, welches er 1886 erfolgreich abschloss. Von 1888 bis 1889 ging er ins heutige Ghana, wo er im Auftrag der britischen Regierung als Arzt und Navigator eine Expedition begleitete. Da er sich dabei mit Malaria infizierte, musste er aus gesundheitlichen Gründen 1891 nach England zurückkehren und zog mit seiner Familie nach Gravesend in der Grafschaft Kent, um dort als Arzt zu praktizieren. Um sein Einkommen aufzustocken, begann er mit der Schriftstellerei und erfand 1907 seine bekannteste Figur, den Gerichtsmediziner Dr. John Evelyn Thorndyke, der, genau wie Sherlock Holmes, einen praktischen Arzt als Freund und Mitstreiter hat, welcher bei ihm den Namen Christopher Jervis trägt. Nach dem ersten Weltkrieg, in dem Freeman als Captain des Royal Army Medical Corps diente, wurde er Mitglied der "Eugenics Society", einer Gesellschaft, die eine Vorherrschaft der "rassisch reinen Angelsachsen" forderte. Freeman starb am 28.09.1943 auf seinem Anwesen in Gravesend.
Die hier zugrundeliegende Erzählung mit dem englischen Originaltitel "The Stranger's Latchkey", erschien erstmals 1909 in der Kurzgeschichtensammlung "John Thorndyke's Cases" bei Chatto & Windus in London. Eine Übersetzung ins Deutsche erfolgte meines Wissens nach bisher nicht.
Um daraus ein Sherlock Holmes-Abenteuer machen zu können, hat Skriptautor Marc Gruppe, neben dem Tausch der Namen der beiden Protagonisten, auch fast sämtliche weitere Namen von Personen oder Orten geändert. Diese hier aufzuführen, würde wohl die meisten Leser langweilen, und da es ohnehin keinen Einfluss auf die Handlung hat, erwähne ich es nur der Vollständigkeit halber. Ebenfalls abgeändert wurden alle zu modern wirkenden Aspekte der Vorlage. So wandelt sich das Auto wieder zur Kutsche mit Pony, was der Skriptautor in Form einer "Pferdeapfel-Analyse" geschickt humoristisch ausnutzt. Darüber hinaus hat er einige Textpassagen in ihrer Reihenfolge umgestellt, und man bekommt die philosophischen Betrachtungen, welche eigentlich die Kurzgeschichte einleiten, erst sehr viel später präsentiert. Soweit möglich wurde darauf geachtet, den Erzählertext in Dialoge umzuschreiben und diese teilweise nicht unerheblich zu erweitern. Das lässt die Gespräche zwar einerseits "runder" wirken, bremst aber andereseits auch den Fortlauf der Handlung. Mir persönlich haben aber fast alle komplett neuen Dialoge bzw. Figuren gut gefallen. Highlight ist für mich dabei Dr. Watsons Begegnung mit dem Vagabunden, bei dem der Doktor halb mit sich selbst und halb mit dem Umherziehenden spricht, was in dessen völlige Verwirrung mündet. Im Gegenzug hat Gruppe unzeitgemäße Ausdrücke wie "silly little woman" und ähnliches weggelassen. Sämtliche sonstigen Änderungen, wie z.B., daß eine Figur hier nur bis 10 statt bis 50 zählt, der Haustürschlüssel unter der Diele liegt und nicht an einem Nagel hängt, oder es Watson statt Holmes ist, der den Schuh einsteckt, dienen ausschließlich dazu, den Kriminalfall plausibler zu machen bzw. den Doyleschen "Geist" zu verstärken. Dementsprechend fällt auch die Auflösung bei Marc Gruppe um einiges ausführlicher aus als bei Freemann. Hier bekommt man viel tiefere Einblicke in die Motiovation und die Gefühle der Protagonisten, und selbstverständlich wird der Hörer auch über deren weiteres Schicksal aufgeklärt. Doch bis es soweit ist, erlebt man rund 107 Minuten Krimihörspiel-Genuß.
Auch diesmal liegen Produktion und Regie wieder in den fähigen und gewohnt souveränen Händen von Stephan Bosenius und Marc Gruppe.
Passend zum zeitlichen Rahmen, in dem die Geschichte spielt, kommen hauptsächlich klassische Instrumente wie Geige, Klavier, Streicher oder Glockenspiel zu Gehör. Der Synthesizer wird entweder in Form düsterer Töne, welche die gerade benötigte unheimliche Stimmung unterstreichen sollen, oder in Form von sphärisch anmutender Musik eingesetzt. Neben dem bekannten mit Geige und Klavier intonierten Titelthema, alternieren die Melodien zwischen aufregend und harmonisch. Beispielsweise erklingt eine Streichermelodie, welche mich unwillkürlich an eine Filmmusik denken ließ, während ein anderes Mal ein fröhliches Bläserstück zur Auflockerung eingespielt wird. Eine gefühlvolle Klavierweise bildet dann den Ausklang.
Auch dieses Hörspiel sprudelt förmlich über mit einer unglaublichen Menge unterschiedlichster Geräusche, die das Klangbild der jeweilige Szene immer adäquat und vollkommen natürlich komplettieren. In der Bakerstreet raschelt Watson mit dem Brief, Holmes entzündet ein Streichholz, es wird an die Holztür geklopft, und Mrs Hudsons Kleid raschelt kaum vernehmbar. Beim gemeinsamen Essen in der Landpraxis klappert das Besteck auf dem Geschirr, Tassen werden auf Untertassen abgestellt, und als die Türklingel geht, wird mit den Stühlen gerückt. Der Wald erwacht durch unterschiedliches Vogelgezwitscher, raschelnde Gräser und Büsche oder krächzende Krähen zum Leben, und wir begleiten die Handelnden auf der Kutsche, komplett mit Pferdewiehern, knarrendem Zaumzeug und Galopp auf hartem Untergrund. Unbedingt erwähnenswert ist auch die Schmiede mit dem Blasebalg und dem dazugehörigen Hämmern auf Eisen.

Zu den Sprechern:
Joachim Tennstedts(Sherlock Holmes) Portrait des Meisterdetektivs ist einmal mehr ein akustisches Vergnügen. Wider besseres Wissen tut er so, als verstünde er das Prinzip der Praxisvertretung nicht und nutzt stattdessen die Gelegenheit, nicht nur seine guten Freund Dr. Watson auf den Arm zu nehmen, sondern sich auch ein wenig mit Mrs. Hudson zu kabbeln. Ebenfalls amüsant finde ich sein scheinbares Unvermögen, sich den Namen des Inspektors zu merken, bis klar wird, daß sich selbiger erst den Respekt des Detektivs verdienen muss, bevor dieser ihn richtig anspricht. Daß Holmes Dr. Watson mehrfach ehrlich lobt, ist ein schöner Ausgleich für seine sonst gern mal etwas bissige, ironische Art. Ich freue mich ja immer riesig, wenn ich Detlef Bierstedt(Dr. Watson) in der Rolle des treuen Freundes und Chronisten zu hören bekomme. Daß er hier sogar die Hauptrolle hat, hebt die Folge natürlich schon etwas von den anderen ab. Bierstedt kann sämtliche Facetten seiner Figur zum Ausdruck bringen. Mal ist er der verlegene, beinahe schüchtern wirkende ältere Herr, der Komplimente gern abwiegelt, dann wieder der entschlossene Gentleman, der die Frauen verteidigt. Es macht viel Spaß, die Spielfreude des Sprechers zu erleben, und es sind gerade die Kleinigkeiten, wie z.B. die Tatsache, daß er den Inspektor, statt ihn beim Namen zu nennen, einfach geradeheraus als "Dorfdepp" bezeichnet, die ihn so natürlich und bodenständig wirken lassen. Auch Regina Lemnitz(Mrs. Hudson) kann hier sehr abwechslungsreich agieren. Ihren Dialog mit Dr. Watson, auf den sie nichts kommen lässt, säuselt sie geradezu, während sie im Gespräch mit Holmes unfreundlich, entrüstet und recht laut wird. Herma Koehn(Jane Hanshaw) überzeugt als freundliche Strohwitwe, die auf die Ereignisse erst besorgt und dann entsetzt reagiert. Freya McMenemy(Nick Russell) spricht Mabels vorlauten sechsjährigen Sohn so überzeugend, daß man glauben könnte, sie wäre tatsächlich ein Junge. Petra Nadolny(Mabel Russell) tritt zunächst eher verhalten auf, aber das ändert sich schlagartig, als ihr kleiner Sohn verschwindet. Da wird sie im wahrsten Sinne des Wortes zum "Muttertier", das alles tut, um den Nachwuchs wiederzufinden. Dementsprechend schwankt auch ihr Gemütszustand ständig zwischen Sorge, Entsetzen und Wut hin und her und verlangt der Sprecherin schon einiges ab. Uschi Hugo(Lucy Russell) leiht ihre schöne Stimme der charmanten 23jährigen Nichte, deren fröhliche Art aufgrund der Ereignisse schlagartig in verzweifeltes Schluchzen mündet. Als Mann kann ich da gar nicht anders, als ihr zur Seite stehen zu wollen, genau wie es Dr. Watson tut.
In weiteren Nebenrollen hört man Valentin Stroh(Inspektor Brix) als etwas pikierten Polizeibeamten, der zunehmend genervt seinen Namen wiederholt, Glenn Goltz(Schmied), der den hilfsbereiten Handwerker mit angemessen kernigem Ausdruck spricht, und Bert Stevens(Der Fremde), dessen leicht knarzige Stimme hervorragend zum Duktus seiner aufbrausenden, bedrohlich wirkenden Figur passt. Außerdem hat diesmal auch Stephan Bosenius(Anderson) einen kleinen Part als ruhiger, höflicher und eifriger Knecht übernommen. Sprecherisches Highlight ist für mich aber Marc Gruppe(Vagabund) in der Rolle des grummeligen Landstreichers, der mit heiserer Stimme zwar durchaus auskunftswillig, aber gleichzeitig auch geistig überfordert ist, als es darum geht, Dr. Watsons für ihn unzusammenhängendes Gerede zu verstehen.

Fazit:
Interessanter Kriminalfall, bei dem ausnahmsweise mal Dr. Watson und nicht der berühmteste Detektiv der Weltgeschichte im Vordergrund steht.

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